„Ich habe nicht gebaut, aber gesäet habe ich“ – Goethes Farbenlehre im Lichte neuerer Untersuchungen aus Physik, Wissenschaftsgeschichte und Philosophie
„Mir aber können sie nichts zerstören“ schreibt Goethe über die Gegner seiner Farbenlehre, und fährt fort: „denn ich habe nicht gebaut; aber gesäet habe ich und so weit in die Welt hinaus, dass sie die Saat nicht verderben können.“ – Ein eindrückliches Beispiel für die gemeinte Art der wissenschaftlichen Wirksamkeit stellt die Verwandlung dar, welche die Beurteilung der Farbenlehre Goethes durch Hermann von Helmholtz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfahren hat. In seiner Rede von 1892 über „Goethes Vorahnungen kommender naturwissenschaftlicher Ideen“ revidierte Helmholtz sein Urteil von 1853 über das „Scheitern“ der Farbenlehre und nahm Goethe durch den Vergleich mit Faraday und Kirchhoff in die Gemeinschaft der Physiker auf. Die Bemühungen namhafter Physiker des 20. Jahrhunderts, wie etwa Heisenberg, Weizsäcker oder Born, den Dichter als Wegbereiter einer ganzheitlichen Naturanschauung zu würdigen, änderten indessen nichts daran, dass die Farbenlehre aus physikalischer Sicht als erledigt gilt.
Dieser Konsens wird seit einigen Jahren durch neuere physikalische, historische und wissenschaftsphilosophische Untersuchungen infrage gestellt. Zum einen geht es um ein differenzierteres Bild der methodischen Arbeitsweise Goethes im Kontext seiner Zeit, zum anderen um die Bedeutung seiner Entdeckung der Komplementarität spektraler Phänomene. In seiner 2015 publizierten Studie „Mehr Licht! Goethe mit Newton im Streit um die Farben“ spitzt der Wissenschaftsphilosoph Olaf Müller seine Untersuchung der physikalischen Rezeptionsgeschichte der Farbenlehre auf die überraschende Feststellung zu, dass die Farbenlehre Goethes nur von wenigen gründlich studiert wurde und Goethes Hinweis auf die Symmetrie spektraler Farbphänomene nahezu unbeachtet blieb. Ernst zu nehmende Versuche, die Komplementarität inverser Spektren physikalisch zu begründen und experimentell zu untersuchen sind in Anknüpfung an Bjerke, Holtsmark und Sällström in den letzten 10 Jahren von Matthias Rang durchgeführt worden. In seiner 2015 erschienenen Studie zur „Phänomenologie komplementärer Spektren“ wird gezeigt, dass Komplementarität als Symmetrieeigenschaft inverser optischer Zustände vorliegt, wenn das optische System als konservatives System betrachtet werden kann. Dieses Ergebnis bestätigt Goethes Beobachtung von der Symmetrisierbarkeit spektraler Phänomene und steht zugleich im Einklang mit der Theorie Newtons.
Ziel des Symposiums ist eine Sichtung und Diskussion der genannten Untersuchungen hinsichtlich der Frage, welche Konsequenzen sich daraus für eine Neubewertung der Farbenlehre und für zukünftige Forschungsperspektiven in den beteiligten Disziplinen ergeben. Ausgehend von einem Strukturportrait der Farbenlehre als allgemeines methodisches Programm wird die experimentelle Entwicklung vorgestellt, die zur Unterscheidung verschiedener Invertierungsvarianten und zur vollständigen Symmetrisierung spektraler Phänomene in den Experimenten von Rang geführt hat. Anschließend wird der Gesprächsraum für historische, philosophische, ästhetische und wahrnehmungspsychologische Betrachtungen zum Thema geöffnet.
Veranstalter: Philosophicum im Ackermannshof, Stefan Brotbeck, Renatus Ziegler in Kooperation mit Johannes Grebe-Ellis und Matthias Rang
Ort: St. Johanns-Vorstadt 19-21, 4056 Basel,
Zeit: Beginn am Freitag, 29.09. um 9:00 Uhr, Ende am 30.09. um 15:30 Uhr
Programm: Siehe die Aktualisierungen auf der Homepage des Philosophicums (ab 15. Juni 2017):
Kosten: Teilnehmergebühr für das Symposium € 90.- (Normalpreis), € 60.- (für Mitglieder des DFZ und von pro/colore inkl. freier Zugang zur Ausstellung in der Volta-Halle)
Anreise: http://www.philosophicum.ch/kontakt.html
Hotelinfos: Basel Tourismus, Tel: +41 61 268 68 68, info@basel.com. Individuelle Direktbuchungen kann man über folgenden Link machen: https://www.basel.com/de/Hotel-Bed-and-Breakfast; «Lage» zum Beispiel verfeinern mit «Zentrum».